Am 22. September 1975 trafen drei Radio-Redakteure die Klaus Renft Combo in der Kantine ihres Funkhauses zum Interview. Es konnte jedoch nicht zu Ende geführt werden – Renft wurde verboten, die Senderführung stürmte die Kantine. Jener denkwürdige Moment und die Umstände dahinter bleiben besonders einem der damals anwesenden Redakteure bis heute in Erinnerung…
Text: Wolfgang Martin
Es war ein schöner Spätsommer-Tag im September 1975, als ich mit meiner Kollegin Claudia Ninnig, damals Redakteurin und Moderatorin der „Beatkiste“, und der Produzentin Luise Mirsch in der Kantine des Ost-Berliner Funkhauses in der Nalepastraße auf die Musiker der Klaus Renft Combo aus Leipzig wartete, mit denen ich zum Interview verabredet war. Ich war damals erst einige Monate redaktioneller Mitarbeiter für die Jugendmusik von „Stimme der DDR“. In unseren vier wichtigsten Sendungen „Beatkiste“, „Notenbude“, „HALLO – das Jugendjournal“ und „Vom Band – fürs Band“ spielte die Musik der Renft-Combo eine wichtige Rolle und war bei unseren Hörern außerordentlich beliebt. Mit einigen Songs – zum Beispiel dem sehr politischen „Ketten werden knapper“ – belegten sie vordere Plätze in der Beatkisten-Hitparade.
Harte Vorwürfe gegen Renft
Bei diesem Termin im Funkhaus sollte es um mehrere Dinge gehen: Zum einen waren wir Redakteure immer daran interessiert, Neues von den Bands persönlich zu erfahren, mit denen wir unsere Sendungen gestalteten, und davon sollten die Musiker in dem geplanten Interview für die „Notenbude“ erzählen. Und zudem gab es auch ein Interesse der Renft-Combo und ihrer Rundfunk-Produzentin Luise Mirsch, über mögliche neue Rundfunkaufnahmen zu sprechen, die manchmal für oder in Co-Produktion mit dem AMIGA-Label der staatlichen Schallplattenfirma gemacht wurden. Renft hatte ja schon häufig im Rundfunk produziert, woraus ihre erste Langspielplatte entstanden war.
Natürlich hatten wir schon davon gehört, dass es in ihrer Heimatstadt Leipzig wieder einmal rumorte und die Musiker zur Konzert- und Gastspieldirektion des Bezirks vorgeladen waren. Von der damaligen Chefin der Leipziger Bezirkskommission für Unterhaltungskunst , Ruth Oelschlegel, wurde ihnen „drastisches Vergehen“ vorgeworfen, ihre Texte „…hätten mit unserer sozialistischen Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun“, durch „Renft’s Gesänge würde die Arbeiterklasse verletzt“ sowie „…die Staats- und Schutzorgane diffamiert“. Das sollte reichen, um die Gruppe endgültig zu verbieten, ihr die – wie es offiziell hieß – Spielerlaubnis zu entziehen.
Die Rundfunk-Führung schreitet ein
Ihre schriftlichen Berufsverbote hatten die Musiker an jenem September-Tag 1975 noch nicht erhalten, aber alles war bestens eingefädelt. Frau Oelschlegel machte sich selbstverständlich nicht die Finger schmutzig, behauptete später sogar, sie hätte nie von einem Berufsverbot gesprochen, lediglich: „Ich habe nur gesagt, dass sie für uns nicht mehr existieren.“ Bevor wir im Funkhaus den Fortgang der Geschichte erfuhren, bekamen Luise Mirsch, Claudia Ninnig und ich die ganze Härte der inzwischen von Leipzig aus an alle Kulturinstitutionen sowie Medien vor allem in Ost-Berlin durchgestellten Maßnahmen und Beschlüsse zu spüren. Irgendjemand in der Führungsetage des Rundfunks hatte Wind bekommen von unserem Treffen mit den Renft-Musikern in der Kantine. Unser Gespräch wurde unterbrochen, das Interview kam nicht mehr zustande und die Musiker wurden gebeten, das Funkhaus zu verlassen; sie seien hier nicht mehr erwünscht.
Erst später erfuhren wir, dass sie sogar zu „unerwünschten Personen“ im Rundfunk und Fernsehen der DDR erklärt worden waren. In Leipzig hatten sie inzwischen ihre geliehene Verstärkeranlage an das Kulturhaus Alfred Frank zurückgeben müssen, ebenso ihre Zulassungen als Unterhaltungsmusiker, die ja ihre berufliche Existenzgrundlage waren. Schließlich erhielten alle sechs Gruppenmitglieder ihre Berufsverbote schriftlich von der Abteilung Kultur beim Rat des Bezirks Leipzig: „Mit Wirkung vom 22. September 1975 gilt die Tanzmusikformation Klaus Renft Combo als aufgelöst.“
Renft wird zum Symbol
Das Verbot wurde auch auf die staatlichen Medien übertragen – und so verschwanden buchstäblich über Nacht sämtlich Renft-Songs aus den Schallarchiven von Rundfunk und Fernsehen, einige im sogenannten Giftschrank der Hauptabteilung Musik, andere wurden sogar unwiederbringlich gelöscht und befanden sich im besten Falle als Kopien bei einigen Redakteuren oder den Musikern selbst. Erst im Wendeherbst 1989 erklangen die Hits der Klaus Renft Combo wieder in den Programmen des DDR-Rundfunks.
Als ich im Herbst 1989 wieder einmal in meinem Büro aufräumte, fand ich ein großes ORWO-Magnettonband mit dem Mitschnitt des letzten offiziellen Konzerts, das die Renft-Gruppe vor ihrem Verbot in einem Ostberliner Kino gegeben hatte und das von einem befreundeten Tonmeister heimlich aufgezeichnet worden war. Trotz der schlechten Tonqualität wurden 1990 anlässlich der Wiederbegegnung mit den lange Jahre im Westen gewesenen Musikern der Originalbesetzung in einer Sendung im Jugendradio DT-64 zum ersten Mal Songs aus diesem Konzert-Mitschnitt gesendet.
Renft: Die größten Hits
Wer sich in das Schaffen von Renft über alle Epochen der Band hineinhören möchte oder eine umfassende Sammlung der wichtigsten Songs sucht, wird in der Serie „Die Musik unserer Generation“ fündig: „Renft – Die größten Hits“ zeigt, warum Renft als wichtigstes musikalisches Projekt der DDR bezeichnet wird.
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Das komplette Tracklisting:
1. Zwischen Liebe und Zorn
2. Der Apfeltraum
3. Kinder, ich bin nicht der Sandmann
4. Wer die Rose ehrt
5. Nach der Schlacht
6. Als ich wie ein Vogel war
7. Ermutigung
8. Rockballade vom kleinen Otto
9. Ketten werden knapper
10. Chilenisches Metall
11. Besinnung
12. Ich und der Rock
13. Aber ich kann’s nicht verstehn
14. Gänselieschen
15. Baggerführer Willi
16. Als ob nichts gewesen wär
17. Wenn du groß wirst inner Kleinstadt
18. Ich bin verliebt