Hat man in der DDR – und das schon in den Sechzigern – bei den Jugendlichen auch von „Teenagern“ gesprochen? Aber ja, so nannte Ruth Brandin, das erste echte Idol der Heranwachsenden, ihr Debütalbum 1964: „Teenagerparty mit Ruth“. Die Sechziger sind auch das Jahrzehnt, als AMIGA fleißig lizensierte und zum Beispiel LPs von den Beatles (1965), Ray Charles (1966) und Bob Dylan (1967) veröffentlichte. Das klingt wie Tauwetter in der Kulturpolitik, doch das war es bei weitem nicht. So hieß es dann auch auf der SED-Kulturkonferenz im April 1960: „Rock’n’Roll ist imperialistisches Nervengift!“. Das Berliner Zentralkomitee verschickte an alle SED-Bezirksleitungen gar ein Pamphlet, das den Zusammenhang zwischen „NATO, Politik und Tanzmusik“ erläuterte. Das Pilzkopfvirus schwappte dennoch über die Grenze, die am 13.August 1961 endgültig dicht gemacht wurde. Dass sich der Beat seinen Weg auch in den Osten Deutschlands bahnte, war gut so, denn 1964 sollte in der Hauptstadt das „Deutschlandtreffen 64“ stattfinden. Die DDR demonstrierte einen Moment lang Weltoffenheit und brauchte dazu fürs Radio auch Beatproduktionen. Kapellen wie Team 4, die Butlers oder die Theo Schumann-Combo schnupperten erstmals Studioluft. Doch nur ein Jahr später war wieder alles ganz anders. Die Zitate vom Staatschef Walter „Spitzbart und Brille sind nicht des Volkes Wille“ Ulbricht sind hinlänglich bekannt: „Die Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah…“, „Der Dreck, der aus dem Westen kommt…“ usw. Auslöser war ein Rolling-Stones-Konzert in der Westberliner Waldbühne, die von den Fans regelrecht zerlegt wurde. Also witterte man auch bei den DDR-Beatfans nichts Gutes und Bands wie die Butlers wurden verboten. Doch die Zügel wurden allmählich wieder lockerer. Das Debüt „Die Straße“ von Thomas Natschinski und seiner Gruppe, 1967 aufgenommen und 1968 von AMIGA veröffentlicht, ist eine echte Beatplatte. Und auch im Schlager ging es voran, eine Riege neuer Sänger*Innen wurde populär, darunter Namen wie Ingo Graf, Günter Geißler, Karin Prohaska, Christian Schafrik sowie das Duo Chris Doerk & Frank Schöbel.
Die 1960er-AMIGA-Top 10
10. Karin Prohaska (geb. 1945)
Junges Mädchen sitzt im Sommer an der Ostsee, singt zur Gitarre und wird vom Urlaub machenden Talentscout entdeckt und ins Studio geschickt. Ein Szenario, das einige Newcomerinnen erlebten – so auch Karin Prohaska aus Chemnitz. Gleich ihre erste AMIGA-Single avancierte zu ihrem größten Hit: „Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut“. Mit „Ich such mir meinen Bräutigam alleine aus“ und „Schleich nicht wie die Katze um den heißen Brei“ gelangen weitere Erfolge. Mit dem Ende des Jahrzehnts endete auch Prohaskas AMIGA-Karriere. Sie tingelte noch einige Jahre mit Orchester durchs Land, zog aber Mitte der Siebziger mit ihrem Mann nach Moskau. Heute lebt die Sängerin im Vogtland.
9. Günter Geißler (1929 – 2006)
Der Cottbuser Sänger landete bereits 1959 seinen ersten Hit: „Gitarren klingen leise durch die Nacht“, der auch in der damaligen BRD ein großer Erfolg wurde (allerdings in der Version von Jimmy Makulis) und dort auch Titelmelodie eines gleichnamigen Kinofilms war. Es folgten weitere Kassenschlager wie „Marina“ (1960), „Die Primaballerina meiner Träume“ (1963) und vor allem „Das schönste Mädchen der Welt“ (1966). Letzterer wurde übrigens von Peter Orloff gecovert und bescherte diesem seinen ersten Hit in der BRD. 2006 fand man Geißler stranguliert in Gallinchen, einem Cottbuser Ortsteil, auf. Es war vermutlich Selbstmord.
8. Mary Halfkath (geb. 1939)
Mary Halfkath war die Ulknudel unter den neuen Schlagersängerinnen. Mit reichlich Temperament und augenzwinkerndem Humor sang sie Titel wie „Der alte Hut von Jerry Flynn“ und „Was kann ich denn dafür, dass er mir schmeckt“. Doch der schnelle Erfolg war nicht nur Segen, sondern auch Fluch: Denn fortan stand ihr Name für Ulkschlager, nichts anderes nahm man ihr ab. Als dann auch noch „Ich bin die Tigerjolli vom Zirkus Busch“ 1964 floppte, verlor AMIGA das Interesse an ihr. Mary stand jedoch weiterhin auf den Bühnen und produzierte beim Rundfunk. Erst 24 Jahre später kamen Label und Sängerin wieder zusammen. Das Ergebnis ist ein Album mit plattdeutschen Liedern „So bün ick un so bliev ick“.
7. Perikles Fotopoulus (1931 – 2003)
Griechische Sänger*Innen in der deutschen Schlagerwelt sind keine Seltenheit, man denke etwa an Nana Mouskouri, Vicky Leandros oder Costa Cordalis. Auch der DDR-Schlager hatte einen: Perikles Fotopoulus. Aus politischen Gründen musste der 22-jährige mit seiner Familie 1953 seine Heimat verlassen. In der DDR begann er zunächst ein Filmstudium in Babelsberg, wechselte jedoch zwei Jahre später in die Musikbranche. 1960 erschien seine erste AMIGA-Single, vier Jahre später das AMIGA-Album „Salute, Perikles“ mit Hits wie „Peseten! Moneten!“ und „Oh, oh, Rosi“. 1974 ging der südländische Star nach Griechenland zurück, 2003 ist er verstorben.
6. Theo Schumann Combo (1961 – 1977)
Theo Schumann (1928 – 1990) war eigentlich Jazzer, doch mit Beginn der 1960er infizierte auch er sich mit dem Beatvirus und brachte 1961 die nach ihm benannte Combo an den Start. Die waren ganz dicht dran an den internationalen Vorbildern, beim DDR-Rundfunk konnten sie eine Beatles- und eine Rolling Stones-Nummer mit deutschen Texten produzieren. 1964 veröffentlichte AMIGA ihre erste Single und 1969 ihre erste LP, auch an den legendären „Big Beat“-Samplern (1965) waren sie beteiligt. Später wandte sich Schumann wieder dem Jazz zu.
5. Team 4 (1964 – 1972)
Die Beatles haben ganz sicher weltweit für etliche Bandgründungen gesorgt, auch im Osten Deutschlands. So beispielsweise 1964 in Berlin-Köpenick beim Quartett Team 4. Musikalisch dicht auf den Fersen von McCartney, Lennon & Co, aber von Anfang an mit deutschen Texten. Das war gefällig und wurde von den Kulturoberen gefördert, lediglich der englischsprachige Bandname (obwohl ja Team Vier gesprochen) störte, so dass sich die Band 1965 in Thomas Natschinski & seine Gruppe umbenannte. Auch wenn dieser Kapelle sporadisch Staatsnähe vorgeworfen wird, machten sie den Weg für Rock und Pop in der DDR ein Stück weit frei. Und ihre „Mokka-Milch-Eisbar“, 1969 auf AMIGA veröffentlicht, gilt bis heute als einer der großen Hits des Ostens.
4. Herbert Roth (1926 – 1983)
Obwohl Herbert Roth aus Suhl der bekannteste Star volkstümlicher Musik in der DDR war, wurde es ihm in den ersten Jahren seiner Karriere schwer gemacht. Die Thüringer monierten, dass er hochdeutsch singt und damit für das Aussterben der Thüringer Mundart sorgt, die Medien prangerten an, dass er Heimatschnulzen im westlichen Stil interpretiere. Doch das alles konnte nicht am Erfolg beim Publikum rütteln, seine frühen AMIGA-Alben „Mit Herbert Roth durchs Thüringer Land“ (1963) und „So klingt’s in den Bergen“ (1968) avancierten zu Bestsellern.
3. Die Sputniks (1963 – 1966)
AMIGA hatte diese junge Beatband im Twistkeller Berlin-Treptow entdeckt, dem Hot Spot der noch jungen Szene. Die „Shadows des Ostens“ erlangten schnell Kultstatus und AMIGA untermauerte das mit diversen Veröffentlichungen: eigene Singles wie „Gitarren-Twist“, als Begleitband von Ruth Brandin oder Perikles Fotopoulos sowie mehrere Beiträge für die Vinylsampler „Big Beat I“ und „Big Beat II“ (beide 1965). Schon 1966 löste sich auf Drängen der Kulturfunktionäre die Band um Henry Kotowski (1944 – 2019) wieder auf. 30 Jahre später kam es zur Reunion und die Sputniks spielten gar beim Wacken Open Air.
2. Ruth Brandin (geb. 1940)
Als die Schlagersängerin Jenny Petra (unser Platz 8 in den 1950ern) wegen einer Mandelentzündung im Klinikum Buch (bei Berlin) weilte, kam sie mit der angehenden Krankenschwester Ruth Langhammer ins Gespräch, die ebenfalls gern sang, und gab ihr schließlich die Adresse der AMIGA-Verantwortlichen. Dort einmal vorgesungen, ließ man sie nicht mehr gehen, denn Ruth Brandin, wie sie sich fortan nannte, brachte das mit, was bis heute wenige Künstler*Innen haben: Authentizität. 1962 erschien ihre erste AMIGA-Single „Das Lied vom alten Plattenschrank“ (zusammen mit Monika), der Beginn eines erfolgreichen Jahrzehnts mit Evergreens wie „Aus Apfelkernen und Nudelsternen“ und „Mich hat noch niemand beim Twist geküsst“. Obwohl es ihre Ecken und Kanten waren, die sie so besonders machten, verhinderten genau diese ihre weitere Karriere. Sie wechselte in den Siebzigern in die Gastronomie (zur Ostberliner Kultstätte „Cafe Nord“ in der Schönhauser Allee), 1985 siedelte sie nach Berlin (West) über.
1. Chris & Frank (beide 1942 geb.)
Chris Doerk hatte bereits eine und Frank Schöbel schon neun AMIGA-Singles auf dem Markt, als sich die beiden (nicht nur privat) zusammentaten. „Lieb mich so wie dein Herz es mag“ aus dem Jahr 1967 war der erste gemeinsame Hit, dem viele weitere wie „Abends in der Stadt“, „Einmal in der Woche“ und „Woher willst du wissen, wer ich bin“ folgten. Fortan galten die Zwei als Traumpaar der DDR-Unterhaltungsbranche. Das bestätigte sich einmal mehr, als beide in der DEFA-Musikkomödie „Heißer Sommer“ spielten. AMIGA veröffentlichte 1968 den Soundtrack und 1969 das Album „Chris & Frank“.
Text: Christian Hentschel