Sep
1
2021

AMIGA: Die 50er

Wussten Sie, dass es den legendären Klassiker „Caprifischer“, bekannt geworden in der von Rudi Schuricke aufgenommenen Version aus dem Jahr 1950, zuvor schon einmal gab? Kurt Reimann hatte ihn ein Jahr zuvor aufgenommen, es wurde die erste veröffentlichte Unterhaltungsmusik auf AMIGA. Das Label hatte sich in seinen ersten drei Jahren bereits in Sachen Jazz einen Namen gemacht.

Die frühen 1950er standen zunächst unter keinem guten Stern. „Beseitigt die angloamerikanische Boogie-Woogie-Kultur“, hieß es auf der 5. Tagung des SED-Zentralkomitees im Jahr 1951. Eine Kursänderung mit Folgen: das Radio Berlin Tanzorchester löste sich auf (fast alle Musiker wechselten zu westdeutschen Orchestern) und selbst AMIGA-Chef Constantin Metaxas siedelte nach Westberlin über – im Übrigen mit etlichen AMIGA-Aufnahmen, die er dort auf seinem Label „Regina“ veröffentlichte. Obwohl an der harten Linie der DDR-Staatsführung weiterhin festgehalten wurde, mauserte sich AMIGA allmählich zu einer veritablen Adresse im Schlager-Genre. Spätestens in der zweiten Hälfte der 1950er waren Interpret*Innen wie Fred Frohberg, Bärbel Wachholz, Paul Schröder sowie Sonja Siewert & Herbert Klein jedem ein Begriff. Um weitere Talente zu finden, richtete AMIGA eigens dafür ein Nachwuchsstudio ein, in dem man bei Bandleader Walter Kubiczeck – der James Last des Ostens – vorsingen konnte. Im DDR-Radio erfreute sich die „Schlagerlotterie“, später in „Schlagerrevue“ umbenannt, größter Beliebtheit – hier wurden immer die aktuellen AMIGA-Schlager gespielt.

Im Jahr, als die Produktion des ersten Trabants begann, nämlich 1957, gab es erstmals eine AMIGA-Platte auf Vinyl. Vier Jahre später stellte AMIGA die Herstellung von Platten auf Schellack komplett ein. Wenngleich sich der Schlager der 1950er in Ost und West sehr ähnelte, war es Ansinnen der DDR, eigene Akzente zu setzen. So wurden Tänze wie der „Lipsi“ oder der weniger bekannte „Pertutti“ erfunden, die sich bei den jungen Menschen jedoch nicht durchsetzen konnten. Allerdings ist der Schlager „Heute tanzen alle jungen Leute“ von Helga Brauer ein bis heute gern gehörter Evergreen.

Zum Ende der 1950er klopfte der Rock’n’Roll auch an die Türen der sozialistischen Bruderländer. Ganz vorn dabei: die in Leipzig frisch gegründete Klaus-Renft-Combo, die 1959 ihr erstes Konzert spielte und drei Jahre später ihren Bandnamen in The Butlers umbenannte.

Die 1950er-AMIGA-Top 10

10. Paul Schröder (1924 – 1993)

Paul Schröder schlug sich nach englischer Kriegsgefangenschaft mit Gelegenheitsjobs durch. Einer davon war, das Orchester Mäcki Mischa zwei Titel lang beim „Weißenseer Musikfest“ zu unterstützen. Es folgten Gesangsunterricht und weitere Auftritte. 1956, keine zehn Jahre später, feierte der Sänger seinen ersten Hit: „Ein Gruß, ein Kuss, ein Blumenstrauß“. Zum Erfolgstitel „Wer ist der schönste Mann im Saal“ kam er durch Zufall. Fred Frohberg sollte den Song singen, doch der wurde krank.

9. Sonja Siewert (1928 – 2018) & Herbert Klein (1920 – 2015)

Sonja Siewert und Herbert Klein, seit 1951 ein Ehepaar, waren echte Workaholics. Nicht nur, dass beide Sololaufbahnen verfolgten und gleichzeitig Gesangsgruppen wie Die singenden Vier, den Flamingos oder den Pico Bellos angehörten, sie waren auch das erste erfolgreiche Duo des Schlagergenres in der DDR. Ihre erste gemeinsame AMIGA-Single entstand 1954. Auch wenn es in den folgenden Dekaden um die Beiden relativ ruhig wurde, sangen sie noch bis ins Jahr 2000 weitere Schlager ein.

8. Jenny Petra (1934 – 2011)

Auch das gab es: Um als Schlagersängerin auf der Musikhochschule Hanns Eisler in Ost-Berlin zu landen, brauchte man eine Sondergenehmigung, die sich Jenny Petra 1952 beim Zentralkomitee der SED besorgte. Edith Kaus, wie Jenny Petra wirklich hieß, war die erste Künstlerin aus der Schlagerbranche, die hier studierte. Als sie 1957 ihr Studium mit dem Staatsexamen abgeschlossen hatte, war sie längst erfolgreiche Sängerin bei AMIGA. Mit der Geburt ihres Kindes – noch in den 1960ern – beendete Jenny Petra ihre Karriere. Von 1970 bis 1994 war sie Dozentin an der Hanns Eisler.

7. Bully Buhlan (1924 – 1982)

Bully Buhlan zählt nur bedingt zu den AMIGA-Stars der 1950er. Denn all seine AMIGA-Veröffentlichungen sind noch aus den späten 1940ern. Allerdings wurden seine Lieder wie etwa „Kötzschenbroda-Express“, der ersten deutschsprachigen Version des Jazzstandards „Chattanooga Choo Choo“ (später machte Udo Lindenberg den „Sonderzug nach Pankow“ daraus), bis weit in die 1960er gesungen. Buhlan setzte seine Sängerkarriere in der BRD fort.

6. Hartmut Eichler (1937 – 2007)

Der Sänger mit der warmen Stimme musizierte zunächst nur in seiner Freizeit, doch Freunde überredeten ihn, mal beim Berliner Rundfunk vorzusingen. Die hatten gerade ein Talentstudio eingerichtet und Eichler wurde schließlich deren Aushängeschild. Das entging auch AMIGA nicht, die von ihm zuerst die Single „Einhundert Jahre lang“/„Weil ich immer allein bin“ veröffentlichte. 2006, ein Jahr vor seinem Tod, stand er letztmalig auf der Bühne.

5. Helga Brauer (1936 – 1991)

Mitten im Urlaub, in Sellin auf Rügen, überredeten zwei Freundinnen die damals 18-jährige, spontan auf die Bühne des Orchesters von Helmut Opel zu gehen und ein Lied zu singen. Anschließend engagierte sie Opel für sein Orchester. 1957 veröffentlichte sie ihre erste AMIGA-Single „Calypso-Liebelei“/“Warum liebst du mich nur platonisch“. Mit weiteren Hits wie „Heute spielt der Konstantin Klavier“ oder „Links ein Mann, rechts ein Mann“ wird Helga Brauer zu einer der erfolgreichsten Sängerinnen in der DDR.

4. Fred Frohberg (1925 – 2000)

Seine allererste AMIGA-Single veröffentlichte Fred Frohberg, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg ein Bein verlor, schon 1949: „Prelude d’Amour“. Da er in seinen Liedern immer wieder maritime Themen integrierte, wurde er oftmals als „Freddy Quinn des Ostens“ bezeichnet, allerdings schaffte es Frohberg immer wieder, sich von diesem Image zu lösen. 1967 trat er eine zehnjährige Pause an. Später arbeitete er auch als Dozent an sächsischen Musikhochschulen. Sein bekanntester Hit ist zweifelsohne „Zwei gute Freunde“ aus dem Jahr 1958.

3. Julia Axen (*1937)

Eine Filmrolle von Marika Rökk soll Christa Lubbe zu ihrem Künstlernamen Julia Axen inspiriert haben, unter dem sie ab 1957 Schallplatten veröffentlichte. Zunächst übrigens bei Polydor, zwar kam sie aus dem Ostteil der Stadt (am Rande: Wilhelmshagen), doch vor dem Mauerbau war das Pendeln zwischen Ost und West noch möglich. Noch im gleichen Jahr unterschrieb sie bei AMIGA und sie wurde eine erfolgreiche Sängerin. „Eine Welt ohne dich“ aus dem Jahr 1958 gilt als ihr größter Hit.

2. Brigitte Rabald (1934 – 2019)

Der Orchesterchef Alo Koll entdeckte das 18-jährige Nachwuchstalent auf einer Tanzveranstaltung, er wurde nicht nur ihr Förderer, sondern auch ihr Ehemann. 1954 erschienen von Brigitte Rabald bereits die ersten AMIGA-Singles und nur ein Jahr später wurde sie von den Lesern der Tageszeitung „Junge Welt“ zur beliebtesten Schlagersängerin des Jahres gewählt. Trotz anhaltendem Erfolg zog sich die Sängerin, deren Gesangslehrerin übrigens die Mutter von Frank Schöbel war, Mitte der 1960er aus dem Showbiz zurück. 1982 siedelte sie mit ihrem Mann in die BRD über, nach Aachen, der Geburtsstadt Alo Kolls. Als dieser zwei Jahre später verstarb, zog sie zu ihrer Tochter nach Florida. Seit 2000 lebte Brigitte Rabald in Leipzig.

1. Bärbel Wachholz (1938 – 1984)

Sie gilt als größter Schlagerstar des Ostens der 1960er, ihre AMIGA-Erfolgslaufbahn begann aber schon Ende der 1950er. In diesem Jahrzehnt wurden bereits ihre ersten 13 Singles (mindestens) veröffentlicht. Selbst ihr allergrößter Hit „Damals“ stammt aus dem Jahr 1959. In Angermünde, wo sie geboren wurde, und in Eberswalde, wo sie aufwuchs, sind Straßen nach ihr benannt. Anfang 1984 war die gelernte Fotografin das letzte Mal im DDR-Fernsehen zu sehen, im November des gleichen Jahres verstarb sie mit nur 46 Jahren.

Text: Christian Hentschel

Hören Sie hier die AMIGA HITstory mit den

größten Songs von 1947-2021

Text: Christian Hentschel